Dr. Thomas Borer über Lektionen im Krisenmanagement aus dem Streit um Schweizer Vermögenswerte des Zweiten Weltkriegs

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Dr. Thomas Borer über Lektionen im Krisenmanagement aus dem Streit um Schweizer Vermögenswerte des Zweiten Weltkriegs

8 Juni, 2016

Dr. Thomas Borer über Lektionen im Krisenmanagement aus dem Streit um Schweizer Vermögenswerte des Zweiten Weltkriegs

In einer Keynote 2016 blickt der ehemalige Schweizer Botschafter Dr. Thomas Borer auf seine Rolle als Leiter der Task-Force „Vermögenswerte Naziopfer“ während der „Holocaust-Vermögens“-Krise der späten 1990er-Jahre zurück. Er schildert, wie Fehltritte, langsame Reaktionen und die Unterschätzung der politischen und medialen Taktiken der USA die Schweiz anfällig für Reputationsangriffe machten. Borer beschreibt die PR- und Lobbying-Strategie, die die Lage schließlich stabilisierte, und betont die Bedeutung von schnellem Handeln, strategischer Kommunikation, Risikomanagement und proaktivem Reputationsaufbau. Wie er es ausdrückt: «Steuern Sie Ihren Ruf – sonst steuert er Sie».

Das vollständige Transkript finden Sie hier:

Ich durfte Litigation PR nicht in einem guten Seminar erlernen, sondern gleich in der Praxis – im Rahmen der Auseinandersetzung Schweiz – Zweiter Weltkrieg. Ausgelöst wurde 1995 die Auseinandersetzung durch den instinktlosen Umgang der Schweizer Banken mit nachrichtenlosen Vermögen, die Holocaustopfer bei ihnen vor und während des Zweiten Weltkrieges angelegt hatten. Konnten ihre Erben die Ansprüche formal nicht ausreichend legitimieren (Todesschein) – und das war häufig der Fall–, scheiterten sie an den bürokratischen Hürden der Schweizer Banken, die mangelnde Sensibilität an den Tag legten. Und die mehrfach vorgenommenen Suchen förderten jedes Mal einen anderen, höheren Betrag zu Tage, einmal neun Millionen (1962), dann 39 Mio (1995) usf. Es blieben offene Fragen und der Verdacht war mit Händen zu greifen, es müssten wesentlich mehr versteckte Gelder in den Geschäftsbüchern der Banken schlummern. Ab Ende 1994 erhoben ausländische und helvetische Journalisten und Parlamentarier ihre Stimmen. Allmählich schwoll die Kritik zu einem kraftvollen Chor an und ab 1996 entstand eine internationale Krise – die schwerste der Eidgenossenschaft nach dem Krieg. Politiker, Diplomaten, Medienschaffende, Bankiers, Historiker, Linke und Bürgerliche wurden allesamt von der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit der amerikanischen Medien für diesen Vorgang überrascht. Parallel zur Familie Clinton und Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat, bemächtigte sich der einflussreiche amerikanische Grossindustrielle
Edgar Bronfman des Themas als Vorsitzender des „World Jewish Congress“ (WJC).Damit nicht genug, gesellte sich von Seiten der Republikaner Senator Alfonse D’Amato aus New York hinzu und gab der Angelegenheit am 23. April 1996 den Segen des US-Senats, indem er ein erstes Hearing vor dessen Bankenausschuss veranstaltete. Hätte man die Interpretationshoheit des „World Jewish Congress“ und seiner Verbündeten frühzeitig unterlaufen und geeignete Maßnahmen in die Wege geleitet, wäre die Krise vermutlich schnell beendet gewesen. Die Zurückhaltung Berns und das langatmige Taktieren der Finanzinstitute – bei gleichzeitig ungeschickten öffentlichen Auftritten einzelner Bankiers – ermutigte Edgar Bronfman, die gefundenen Millionen als böswillige Verhöhnung der Opfer zu deklarieren: Niemals konnten schäbige neununddreißig Millionen das Unrecht der Nazis sühnen! Die Schweiz, ihre Regierung und die Banken erwiesen sich als ungenügend vorbereitet auf die kommende Auseinandersetzung. Man unterschätzte die Komplexität und Sensitivität des Themas völlig, reagierte naiv und beging Fehler um Fehler. Die amerikanischen Methoden und Vorgehensweisen überraschten dabei die arglosen Schweizer durch ihre Abgebrühtheit: Gegen helvetische Banken und später die gesamte Nation wurden Medien- und PR-Maßnahmen, Sammelklagen (so genannte „class actions“), Sanktions- und Boykottdrohungen und später Litigation PR eingesetzt. Am wirksamsten erwies sich die gegnerische PR.
 Mit oft gezielt falschen Meldungen,
 aus dem Kontext gerissenen historischen Dokumenten,
 die Wahrheiten und Halbwahrheiten miteinander vermischten,
 mit öffentlichen Hearings und angeblichen Enthüllungen, kurzum mit einer
 perfekten Skandalisierungsstrategie wurde
alles Schweizerische an den Pranger gestellt. Differenzierungen, Faktentreue und Fairness blieben auf der Strecke.So sah sich die Eidgenossenschaft mit der Anklage konfrontiert, sie habe dem Dritten Reich als Hehlerin für gestohlene Edelmetallbestände überfallener Länder gedient und dabei auch Gold von Holocaust-Opfern angenommen. Die Anschuldigungen gipfelten in absurden und unerträglichen Behauptungen. Unser Land, hieß es, habe sich nicht nur am Krieg bereichert, sondern ihn sogar zwei Jahre verlängert, und in die Schweiz gelangte jüdische Flüchtlinge seien in Sklavenlager gesteckt worden. Dieses vermeintliche Fehlverhalten wurde zum Mittel, um die Glaubwürdigkeit unseres Landes via internationaler Medien zu erschüttern und Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Diese hatten dem Trommelfeuer nichts entgegenzusetzen, obwohl solche Verleumdungsstrategien bekanntlich keine Erfindung der Neuzeit sind, sondern seit der Antike praktiziert werden. Schon Plutarch riet dazu, den Gegner zu diffamieren: „Audacter calumniare, semper aliquid haeret.“ (Verleumde nur kühn, etwas bleibt immer hängen.) Auf dem Spiel stand dabei das Ansehen der Schweiz und ihrer wichtigsten Konzerne. Dass für Banken und Industrieunternehmen eine hohe Glaubwürdigkeit die Grundlage des Geschäfts bildet, versteht sich von selbst. Die Geschwindigkeit der Verleumdungen überforderte die Berner Regierung und die Wirtschaft sichtlich. Alle Geschehnisse wurden durch den „CNN-Faktor“ beschleunigt, der die Zeit für exakte Abklärungen, Rückfragen und Absprachen im Höchstfall auf Stunden zusammenschmelzen ließ. Die Bankiers wussten nicht, dass im elektronischen Zeitalter man nicht erst Tage nach einer Anschuldigung reagieren, sondern muss gleich auf den Sender, um dem Angreifer die Stirn zu bieten. Jede Verzögerung verschafft ihm Vorteile, denn wie gesagt, etwas bleibt immer hängen. Zudem konnten die Fordernden in den USA – ob Einzelpersonen, Organisationen oder Politiker – fast immer auf funktionierende Netzwerke zurückgreifen, die sich quer über alle Strukturen hinweg auf Politik und Medien erstreckten. Unser Netzwerk in den USA erwies sich dagegen als viel zu wenig tragfähig, um wirksam und schnell kontern zu können. Wir erreichten Medienschaffende, akademische Kreise und Politiker mit unseren Botschaften nur mangelhaft. Zudem waren wir auf die amerikanische Streitkultur nicht vorbereitet und kannten die richtigen Abwehrmethoden nicht. Wir wussten nicht, dass sich Amerikaner durch einen unerschütterlichen Sinn für Fairness auszeichnen und es stets honorieren, wenn man mit einer überzeugenden Strategie bravourös reagiert. Zwar kann man in den USA durch eine einzige unbedarfte Äußerung tief ins Schlammassel geraten, sich aber mit einem furchtlosen Return auch wieder daraus befreien. So gerieten wir im Lauf des Jahres 1996 unter ungeheuren Druck. Die Stimmung in den USA und Israel wurde immer ungemütlicher, die politisch-juristisch-mediale Kampagne nahm unerbittlich ihren Lauf. Alfonse D’Ama¬to veranstaltete seine Hearings, vor diversen Gerichten wurden Sammelklagen eingereicht, und die amerikanischen Medien begannen gegen die Schweiz zu trommeln, als ginge es gegen den Iran oder Nordkorea. Greg Rickman, enger Mitarbeiter von Alfonse D’Amato brüstete sich später in seinen Memoiren: „Unser Ziel war einfach. Wir würden die Schweizer Bankiers vor ein Gericht stellen, aber vor keines, dessen Regeln sie begriffen. Am Gerichtshof der öffentlichen Meinung kontrollierten wir die Agenda. Die Bankiers liefen gemütlich ihre Runden auf der Rennbahn, und wir waren Richter, Geschworene und Henker in einem.“Gegen diese offenen Anfeindungen gelang es uns nicht, eine glaubwürdige Position aufzubauen, geschweige denn, sie konsequent in der Öffentlichkeit zu vertreten. Politik und Wirtschaft verhedderten sich in unklaren Zielsetzungen, nicht abgesprochenen Einzelaktionen folgten ärgerliche Dementis. Man schwankte zwischen hochmütiger Härte und ignoranter Schwäche – alles ohne jede Strategie. Die Schweizer Medien und das Parlament kritisierten die Regierung immer schärfer, bis sich Bern endlich im Oktober 1996 entschloss, eine Löschtruppe zu berufen: die Task-Force „Schweiz – Zweiter Weltkrieg“. Schließlich rief ich Nationalrat Ernst Mühlemann an, einen väterlichen Freund. In den Medien wurde der erfahrene Politiker und ehemalige Bankier „Schweizer Schattenaußen¬mi¬ni¬ster“ tituliert, weil er sich als einer der wenigen eidgenössischen Parlamentarier aktiv für außenpolitische Belange einsetzte und sie als brillanter Redner auch vermitteln konnte. Außerdem übertraf er die meisten EDA-Beschäftigten an außenpolitischer Leidenschaft, Kenntnissen und Beziehungen. Auf ein längeres Telefonat gefasst, überraschte mich die Kürze des Gesprächs. Kaum hatte ich mein Anliegen formuliert, tönte es trocken aus dem Hörer: „Lieber Thomas, wenn das Vaterland in Not ist und ruft, dann geht man! Ich wünsche noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.“ Mühlemann am Ende der Auseinandersetzung 1999: „Lieber Thomas, ich danke Dir für Deinen selbstlosen Einsatz für die Schweiz. Ich bin stolz auf Dich“. Und er schloss: „Der Dank des Vaterlandes wird Dich ein Leben lang verfolgen – ohne Dich je einzuholen.“ So wurde ich am 25. Oktober 1996 von der Regierung zum Chef des Krisenstabes „Vermögenswerte Naziopfer“ ernannt, wie die TaskForce zu Beginn noch hieß. Als einziges Instrument bekam ich den Titel des Botschafters in die Hand – und viele gute Wünsche mit auf den Weg! Wo löscht man zuerst, wenn das Haus vom Keller bis zum Dachstuhl brennt? Optimistische Frage, denn sie setzt einen funktionierenden Löschzug und eine eingespielte Feuerwehrmannschaft voraus. Beides besaß ich an jenem Tag nicht, die Task-Force bestand aus einer einzigen Person. Und die Zeit drängte, denn knapp sechs Wochen später sollte ein Hearing vor dem US-Kongress stattfinden, bei dem ich meine Feuertaufe zu bestehen hatte. Bis dahin mussten wir uns formiert haben. Was ich brauchte, war eine gute Mannschaft, eine klare Lageanalyse und eine überzeugende Strategie. Die Mannschaft. Lageanalyse. Die Lage war verworren und unübersichtlich, als wir unsere Arbeit aufnahmen. Nur wenige Leute kannten die Akteure im Hintergrund und ihre wirklichen Zielsetzungen. Ein strategisches Konzept zur Bewältigung der Krise fehlte, nur von Fall zu Fall wurden Einzelmaßnahmen ergriffen. In Dutzenden von Gesprächen versuchte ich, möglichst viele Informationen zu sammeln und mit allen Parteien ins Gespräch zu kommen. Strategie: Bei einem Treffen unter der Leitung von Bundesrat Cot¬timit Spitzenvertretern der Schweizer Wirtschaft (insbesondere der Banken und Versicherungen), versuchten wir im November 1996, alle Akteure auf eine verbindliche, langfristige Strategie festzulegen. Dies gelang nur halb, weil nicht genügend Einsicht in die Natur der Krise
und ihre Langfristigkeit bestand. Als Hauptziel definierte ich die Begrenzung des Schadens und die Wiederherstellung der schweizerischen Integrität und Glaubwürdigkeit gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Zu dessen Erreichung standen zwei Alternativen zur Debatte:
 Die erste Variante – innerhalb der Task-Force „Softball“ genannt– empfahl ein Eingehen auf die Forderung des WJC. Diese Vergleichslösung wurde von fast allen Teilnehmern strikt und mit
harten Worten abgelehnt. Zwar hätte sie der amerikanischen Problemlösungspraxis entsprochen, geriet aber mit dem helvetischen Gerechtigkeitssinn in Konflikt.
 So stimmten die Teilnehmer der Sitzung für die zweite Variante („Hardball“), die zwar eine umfassende historische Abklärung der Tatsachen vorsah. Bis zum Vorliegen kon¬¬kreter Ergebnisse lehnte sie aber jegliche Geldzahlungen oder die Einrichtung einer Stiftung kategorisch ab.
 Kurzsichtigerweise war man nicht dazu bereit, zur Verteidigung dieser Linie umfassende Ressourcen für politische Kommunikation oder eine PR-Kampagne bereitzustellen. Auch die Ankündigung unserer Maßnahmen mit einem Paukenschlag, einem „Big Bang“, wurde abgelehnt: Das sei unschweizerische Effekthascherei! Ich hatte mir dabei zum Beispiel eine gut vorbereitete Rede unseres Bundespräsidenten vor großem Publikum vorgestellt, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit einmal in positiver Weise auf uns zu ziehen.
 Weiter gehende Forderungen nach einem integrierten Informations- und Kommunikationskonzept fanden ebenfalls nur zum Teil Gehör. Auch nach dem Treffen äußerten sich Regierungsmitglieder unkoordiniert und mit spürbaren Meinungsdifferenzen in der Öffentlichkeit. Die Vertreter der Wirtschaft standen ihnen darin in nichts nach und sandten immer wieder widersprüchliche Signale aus.
 Immerhin besaß die Task-Force jetzt einige Handlungsvorgaben, nach denen sie sich richten konnte.
o Als Kernelemente unserer Strategie dienten die Grundsätze von Wahrheit und Gerechtigkeit, die insbesonderedurch zwei Kommissionen verkörpert wurden. Eine unabhängige Historiker-Kommission unter Jean-Franç¬ois Bergier
o unabhängige Kommission unter Paul Vol¬cker, dem ehemaligen Präsidenten der US-Notenbank, gegründet wurde. Mit Hilfe internationaler Revisionsgesellschaften sollte sie Licht ins Dunkel der nachrichtenlosen Vermögen bringen, und Opfern wie Banken Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Die Task-Force wollte nun nicht mehr auf Angriffe warten, sondern selbst die Initiative ergreifen. Als Hauptziel galt es, das Bild der Schweiz als „single issue country“ zu korrigieren. Das heißt, den USEliten in Politik und Medien wie dem Mann auf der Straße zu vermitteln, dass die Alpenrepublik keineswegs aus hartherzigen Kriegsgewinnlern bestand, sondern auf eine lange demokratische und humanitäre Tradition zurückblickte. Wie erschreckend wenig man in den USA von der Schweiz wusste, zeigte sich bis in höchste Staatsorgane hinein. Bei einer D’AmatoAnhörung sprach eine beteiligte Senatorin beharrlich von „Sweden“ statt von „Switzerland“, und ein Kongressabgeordneter glaubte, Zürich sei eine europäische Hafenstadt und besitze einen Meereszugang, was unsere geostrategische Lage im Zweiten Weltkrieg natürlich in einem anderen Lichte erscheinen ließ. Ich trat daher immer mit einer Karte Europas auf, welche die isolierte Situation der Schweiz ab 1940 deutlich machte Weniger belastend empfand ich, dass mich ein Kongressabgeordneter regelmäßig als „Admiral“ ansprach. Auf derartige Beförderungen reagiert ein Schweizer stets mit Wohlgefallen. Zum Kurswechsel zählte darüber hinaus, sich amerikanischen Gepflogenheiten anzupassen. Statt Vorwürfe gar nicht zu parieren oder Anschuldigungen nur halbherzig zu dementieren, galt es, darauf einzugehen oder sie entschieden zurückzuweisen. Die Amerikaner haben dafür einen einprägsamen Satz: Manage your reputation or it will manage you! Gegen all dies musste man ein langfristiges ReputationsManagement entwickeln, und es bot sich durchaus an, von der anderen Seite zu lernen. Wie sie es geschafft hatte, binnen weniger Monate das Bild der hilfsbereiten „Rotkreuz“-Schweizer auf den Kopf zu stellen und in das einer Bande von Freibeutern umzudeuten, stellte eine PR-Leistung ersten Ranges dar. Schon dieser Etappensieg des „World Jewish Congress“ veränderte das Kräfteverhältnis nachhaltig, denn es gelang ihm, die Umkehr der Beweislast durchzusetzen. Nicht mehr die Rechtsnachfolger der Holocaust-Opfer mussten ihre Ansprüche plausibel machen, sondern die Banken hatten den Nachweis zu erbringen, dass sie keine verwaisten Gelder horteten. Das Kongress-Hearing vom Dezember 1996 nahm in unserer Strategie eine zentrale Rolle ein. Durch mein überzeugendes Auftreten sollte unsere Position glaubhaft gemacht und Sympathie für den von uns gewählten Weg erweckt werden. Gelang dies, würde auch der ungeheure Druck auf uns nachlassen. Für den weiteren Verlauf des Krisenmanagements war es von überragender Bedeutung, welche Figur die offizielle Schweiz vor dem Kongress und damit vor der amerikanischen Öffentlichkeit machen würde. Der TV-Kanal C-SPAN übertrug das Hearing in voller Länge, das Schweizer Fernsehen schaltete sich dazu. Bei aller Kürze der Zeit versuchte ich dennoch, mich generalstabsmäßig vorzubereiten. Auf unser Drängen hin hatten wir aus Bern die Genehmigung erhalten, uns zur Vorbereitung des Hearings professionelle Unterstützung zu holen. Wir wählten die Beratungsfirma Barbour, Griffith & Rogers, Ich erinnere mich noch daran, an einem einzigen Tag neun Meetings mit US-Parlamentariern absolviert zu haben, die unsere gewandten Lobbyisten eingefädelt hatten. Ein wahrer Marathon! Die meisten Angesprochenen vernahmen dabei zum ersten Mal den Schweizer Standpunkt und konnten durch die entstandene persönliche Beziehung in Zukunft leichter angesprochen und in unsere Strategie integriert werden. Parallel dazu engagierten wir die New Yorker PR-Firma Ruder Finn. Ihre Aufgabe bestand darin, uns bei den vielfältigen Kontakten zu USMedien zu helfen und besonders Zeitungsartikel, Kolumnen und einprägsame Slogans vorzubereiten. Doch neutrale Zuhörer wie Jim Leach kamen zu dem Schluss, dass sich die Schweiz auf dem richtigen Weg befand. Man musste ihr und ihrem jungen Vertreter nun eine gewisse Zeit geben, die Versprechungen einzulösen. Das forderte die Fairness. Mehr konnte die Schweiz damals nicht verlangen. So begann ich meine lange Tour durch die US-Fernsehstationen und Radiosender, die ich später noch manches Mal absolvieren sollte – von CNN zu NBC, von CBS zu ABC. Auch das Echo der Journalisten fiel weitgehend positiv aus. Vor allem waren sie glücklich, endlich jemanden gefunden zu haben, der zu den Vorwürfen des „Word Jewish Congress“ und Senator D’Amatos Stellung nahm. Mit dem Hearing vom 11. Dezember hatten wir erstmals eine Runde für uns entschieden. Unsere Strategie trug Früchte, der WJC befand sich in der Defensive. Vor allem hofften wir, kostbare Zeit bis mindestens in den April 1997 hinein erhalten zu haben. In diesen Monaten wollten wir unsere offensive Informationspolitik weiterentwickeln und zusätzliche PR-Maßnahmen einleiten. Noch vor Weihnachten 1996 legte die Task-Force der Regierung einige Grundsatzpapiere vor und gab den Bundesräten eine genaue Sprachregelung mit in die Weihnachtsferien. Das hieß: Jeder kannte auf die wichtigsten Fragen zum Themenkomplex „Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ präzise Antworten. Diese Antworten wurden durch einen Bundesratsbeschluss für verbindlich erklärt. Ich glaubte daher, beruhigt in den Winterurlaub fahren und ihr St. Moritz zeigen zu können. Am Neujahrstag 1997 war die Ruhe jedoch vorbei, und ich lernte, dass man beim Krisenmanagement jederzeit mit dem worst case rechnen muss. In einem Interview mit zwei französischsprachigen Zeitungen hatte sich der schweizerische Wirtschaftsminister und scheidende Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz keinen Deut um unsere Sprachregelung geschert und den jüdischen Organisationen „Lösegeld-Er¬pressung“ unterstellt („tentative de rançon et de chantage“). Dies gerade zu einem Zeitpunkt, an dem wir unsere Glaubwürdigkeit zurückgewonnen hatten und auf Deeskalation setzten! Ungewollt zerstörte der Hardliner Delamuraz die von ihm gewünschte Strategie der Unnachgiebigkeit, denn nach diesem Vorfall war es unmöglich, die harte Linie fortzuführen. Eine internationale Protestlawine brach über uns herein. Genüsslich fielen die amerikanischen Medien über Delamuraz her, man warf ihm sogar Antisemitismus vor. Nach langem Hin und Her und vielfältigen Medienattacken entschuldigte sich Delamuraz schriftlich in der Öffentlichkeit. Ein Unglück kommt selten allein Leak eines Papiers von Botschafter Jagmetti in der Sonntagszeitung; „Es geht um einen Krieg, den die Schweiz an der Außen- und an der Innenfront führen und gewinnen muss. Den meisten unter den Gegnern kann man nicht vertrauen. „Try putting that tooth¬pa¬ste back in the tube“, würden die ausgefuchsten Spin-Doktoren und Clinton-Berater Paul Begala und James Carville gemäß ihres Handbuchs zum professionellen Medienmanagement zu den Affären Jagmetti und Delamuraz sagen, denn in der Tat vermag man einmal an die Öffentlichkeit gelangte Formulierungen so wenig aus der Welt zu schaffen, wie man Zahnpasta wieder zurück in die Tube drücken kann. Vielleicht hätte es gar keinen „Jagmetti-Skandal“ gegeben, wenn zwischen ihm und der ersten „semantischen Katastrophe“ von Delamuraz nicht ein übereifriger Wachmann angebliche Gesetzesverstöße seines Arbeitgebers aufgedeckt und damit eine weitere internationale Medienlawine losgetreten hätte. Christoph Meili, neunundzwanzig Jahre alt und von eher schlichtem Gemüt, fand am 8. Januar 1997 auf einem nächtlichen Rundgang in der Züricher Zentrale der Bankgesellschaft (SBG) für den Reißwolf bestimmte Akten aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Dies verstieß gegen den Regierungserlass, keine historischen Bankdokumente zu vernichten. Meili nahm das ihm vom Zufall –später meinte er „von Gott“ – verliehene Mandat an, trug seinen Fund zur Israelitischen Cultusgemeinde in der Lavaterstraße und ging in die Geschichte der Schweiz ein, für einige als Held, für die meisten als Verräter. In den Vereinigten Staaten liebt man den „Whistle-Blower“, der durch sein Pfeifen signalisiert, dass etwas Schlimmes passiert. Er ist ein Grundbestandteil der amerikanischen Heldenkultur, in Filmen und Comics oft die zentrale Figur. De facto hatte Wachmann Meili wenig brisantes Material gerettet, aber Zeitungen und Sender gewannen daraus wochenlang ihre Aufmacher. Passend dazu beantragte ihr Held im April 1997 als erster Schweizer überhaupt Asyl in den USA und erhielt es mit einer gesonderten „Bill for the relief of Christopher Meili“ zuerkannt – was zeigte, wie tief die Angelegenheit in den politischen Raum hineinwirkte. Senator D’Amato hatte wieder einmal effizient gearbeitet. Wie ein Aasgeier stürzte sich auch Schadensersatz-Anwalt Ed Fagan auf den hilflosen Exilanten. In Amerikas wichtigster Unterhaltungssendung, der Oprah Winfrey Show, verstieg sich Fagan zur Behauptung, Meili hätte in den Kellerräumen der SBG Beweise gefunden, nach denen sich die Staatsanwälte in den Nürnberger Prozessen die Finger geleckt hätten. Der Vorgang war endgültig in eine irreale Dimension entrückt, zeigte aber erneut, wie Medien als Transmissionsriemen für Partikularinteressen dienten. In TV-Shows vorgebrachte Unterstellungen erzeugten Stimmungen, mit denen man dann vor Gericht operieren konnte. Ende Januar 1997 standen wir allerdings nicht zuletzt seinetwegen vor einem Scherbenhaufen. Was mit dem Hearing-Erfolg und der Einsetzung der Bergier-Kommission so gut begonnen hatte, fand ein jähes Ende. Wir sahen uns mehr unter Druck gesetzt als zu Beginn meines Mandats. Am 30. Januar 1997 wurde im Stadtparlament von New York eine Resolution eingebracht, die einen Boykott der Schweizer Banken forderte. Weitere Boykottaufrufe wurden angekündigt. Als ich daraufhin in Bern von einer „großen Krise“ sprach, rügte mich einer der sieben Bundesräte: Davon könne man nun wirklich nicht reden, ich solle die Vorfälle nicht derart überdramatisieren! Die jüdischen Organisationen erhoben erneut machtvoll den Ruf nach sofortigen finanziellen Leistungen zu Gunsten der letzten HolocaustÜberlebenden. Landauf, landab unterstützten die Medien diese Forderung. Class Actions wurden vorbereitet. Die „Hardball“-Strategie war wegen grober Eigenfehler gescheitert. Perzeption schafft Realität! Wie relevant der Meili-Aktenfund sei, fragte niemand, es genügte, dass überhaupt etwas aufgedeckt worden war. Ob Delamuraz und Jagmetti antisemitische Ausfälle intendiert hatten, interessierte keinen, so lange es nur danach aussah. Wo die Perzeption nur noch in eine Richtung wirkte, war mit reinen Kommunikationsmaßnahmen nicht viel zu erreichen. Wir brauchten neue Fakten, mit denen wir die Blickrichtung der Leute ändern konnten. Vor diesem Hintergrund beschlossen die Schweizer Banken am 5. Februar 1997 auf Initiative des Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse, Rainer Gut, die Einrichtung eines humanitären „Spezialfonds für Holocaustopfer. Seine Strategie ändern oder gar umkehren zu müssen, gehört zu den schmerzhaften Erfahrungen eines Krisenmanagers. Wie jedem anderen Menschen fällt es ihm leichter, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Den Mut zur flexiblen Anpassung oder zur Wende muss er aber besitzen, wenn er erfolgreich sein will. In der Krise läuft wenig nach Plan und fast täglich wird „Murphys Gesetz“ bewiesen: Was schief gehen kann, geht auch schief. In der Task-Force machten wir uns deswegen das Motto von Henry Miller zueigen: „Leben ist das, was uns zustößt, während wir uns etwas ganz anderes vorgenommen haben.“ Noch hitzigere Diskussionen erhoben sich in der Schweiz nach dem 7. Mai 1997, als ein Bericht des US-Außenministeriums für Sprengstoff sorgte. Um das Auffinden von Gold und anderen während des Zweiten Weltkrieges gestohlenen Werten zu erleichtern, hatte die USRegierung eine Untersuchung angeordnet. Darin spielte der Goldhandel zwischen Nazi-Deutschland und der Schweiz eine Rolle, doch das war nicht das Schlimmste. Ergänzt wurde der von Historikern des US-Außenministeriums verfasste Bericht durch ein Vorwort von Stuart Eizenstat, in dem er in seiner offizieller Funktion als Unterstaatssekretär absurde und undifferenzierte Anschuldigungen gegen die Schweiz erhob, unter anderem, dass die Eidgenossenschaft den Zweiten Weltkrieg durch ihr Handeln verlängert habe. Dafür aber blieb er jeden Beweis schuldig. Ein politischer Angriff und beispielloser Vorgang unter befreundeten Staaten! Über sein indiskutables Vorwort stritten wir besonders heftig, denn die Anschuldigungen wurden weltweit von den Medien aufgegriffen und schadeten der Schweiz auf breiter Front. In der Folge mussten wir uns immer wieder gegen historische Verzerrungen wehren. Eizenstat wollte die Schweiz wohl mit seinem Angriff zum Einlenken bewegen, goss aber Öl ins Feuer und erreichte das genaue Gegenteil. Seine Fehleinschätzung trug dazu bei, dass sich die Schweizer endgültig ungerecht behandelt fühlten und zu Geldzahlungen nicht mehr bereit waren. Wir hatten ihn mehrfach deutlich vor dieser Entwicklung gewarnt. Bis zur endgültigen Beilegung der Krise vergingen noch anderthalb Jahre, deren detaillierte Schilderung den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Ich vertrat die Schweiz auf zahlreichen Hearings von New York bis Jerusalem, auf Konferenzen und Seminaren, wie etwa im Dezember 1997 auf der „Internationalen Goldkonferenz“ in London. Ich legte unsere Politik in Pressekonferenzen, Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln dar und bekämpfte die vielfachen Boykottdrohungen, die sich vor allem in New York in brodelnder Atmosphäre vollzogen.. Seit Mitte 1997 gewann die Task-Force immer mehr an Routine, konnte glaubwürdig agieren und überzeugend auftreten. Unser eingespieltes Krisenmanagement funktionierte ausgezeichnet. Zwar trafen uns hin und wieder Rückschläge, aber wir gerieten nie mehr in eine Abfolge von Krisen wie im Januar 1997. Während all dieser Zeit wurden Gespräche über einen umfassenden, abschließenden Vergleich geführt. Trotz drängender Forderungen von Israel Singer und Stuart Eizenstat war für uns immer klar, dass sich die Schweiz als Staat weder rechtlich noch finanziell an solch einer Lösung beteiligen würde. Hinter den Kulissen wirkten wir jedoch an Konzepten mit, die den schwelenden Konflikt beilegen sollten. Mehrfach scheiterten diese Gespräche, dann drohte man uns erneut mit umfassenden Boykotten oder der Durchsetzung von Sammelklagen bei Gericht. Schließlich einigten sich am 12. August 1998 die Schweizer Banken mit den Vertretern der Shoah-Opfer vor Bundesrichter Edward Korman auf einen umfassenden gerichtlichen Vergleich. Dabei bezahlten die Banken eine Entschädigung von 1,25 Milliarden US-Dollar per Saldo aller Ansprüche. Fast augenblicklich kehrte Ruhe ein. Weil der Vergleich im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zustande kam, schützt er vor weiteren Sammelklagen oder anderen Forderungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Nach den Arbeiten am Vergleich und an der Abschlusserklärung begann ich Ende 1998 mit der wichtigen Transformation, der Planung des Übergangs in den Normalbetrieb. Dazu gehörte die detaillierte Analyse der ausgestandenen Krise und die Implementierung dabei gewonnener Lehren in den politischen Alltag. Denn nach der Krise ist vor der Krise! Aus Fehlern muss man lernen und darf das Krisengedächtnis nicht verlieren. Als ich ein entsprechendes Transformationsprojekt vorschlug, wurde allenthalben abgewunken. Der Bundesrat beauftragte mich lediglich, die Task-Force abzubauen und ein kleines Team zur Abwicklung restlicher Arbeiten übrig zu lassen. Vor meinem Schlussbericht schien man sich nachgerade zu fürchten. Das konnte mich aber nicht daran hindern, für mich selbst Lehren aus den zweieinhalb Jahren Task-Force zu ziehen. Ich möchte nur einige Bereiche aufführen. Risikomanagement. Jedes in den USA tätige Unternehmen – auch jeder Staat – muss ein ganzheitliches, professionelles Risikomanagement ausarbeiten, weil man in den Vereinigten Staaten besonderen systemischen Risiken ausgesetzt ist. Das betrifft die Bereiche Rechtsstreit („litigation“), Rufschädigung („reputation“), Aufsichtsbehörden („regulators“) und Sanktionen und Boykotte („sanctions and boycotts“). Obwohl man sie voneinander getrennt betrachten kann, bestehen wesentliche Zusammenhänge zwischen ihnen; nicht selten verstärken sie sich gegenseitig. Ein gewiefter Kontrahent wird sich immer bemühen, gleichzeitig auf verschiedenen Klaviaturen zu spielen. Parallel zu einer Sammelklage lässt er eine Medienkampagnen laufen, zieht Boykottdrohungen in Erwägung, schaltet staatliche Aufsichtsbehörden ein und versucht, Politiker für seine Sache zu gewinnen. Ein führender Class-Action-Anwalt sprach einmal von den „verschie¬de¬nen Beinen ein und derselben Melkkuh“. Dabei vermischen sich politische mit anderen Risiken. Zum Beispiel kann ein vielversprchendes Produkt durch wissenschaftlich fragwürdige Studien oder lacierte Falschmeldungen diskreditiert werden, was wiederum die Aufsichtsbehörde einschreiten lässt.. Früherkennung. Die am besten gemanagte Krise findet gar nicht statt! Prävention, langfristiges Reputationsmanagement, pro¬aktivesIssues-Management und Früherkennung bilden die Grundpfeiler erfolgreicher Krisenpolitik. Ein Frühwarnsystem muss relevante Signale rechtzeitig erkennen, positive von negativen Entwicklungen unterscheiden und letztere ausfiltern. Die Antizipation heikler Themen gehört zu den vordringlichen Aufgaben strategischer Führung. Zudem müssen Kriseneinsatzkräfte vorbereitet und trainiert werden. Es reicht nicht, erst bei Gefahr einen Feuerwehrhauptmann zu ernennen, dann ist es zu spät. Zu allen denkbaren Problemfeldern sind Factsheets, Hintergrundpapiere, Unternehmenspositionen und Sprach¬¬-regelungen vorzubereiten. Damit man nicht kalt erwischt wird, sollte auch eine Bereitschaftsplanung mit klaren Zuständigkeiten festgelegt und innerbetrieblich durchgesetzt werden. Nur das bekämpft die weit verbreitete Mentalität: „Bei uns wird nichts passieren!“Führung. Eine Krise muss man als Chance begreifen. Denn sie ist, wie Max Frisch schreibt, ein produktiver Zustand, wenn man ihr den Beigeschmack der Katastrophe nimmt. Bei ihrem Ausbruch gilt es ruhig Blut zu bewahren, eine eindeutige Führung zu bestimmen und eine Strategie zu definieren. Die Task-Force, Modell einer interdisziplinären Feuerwehr mit Generalisten und Spezialisten, hat sich auf ganzer Linie bewährt. Wenige, klare Ziele und ein einfacher Plan schützen vor Verzettelung. Dazu gehört die Entwicklung unterschiedlicher Szenarien, vor allem des unerlässlichen Worst-Case-Szenarios. Ohne klare Führung und Verantwortung sind sie freilich wenig wert. Das helvetische Konkordanzmodell mit seinem Zwang, in wichtigen Fragen immer den Gesamtbundesrat mit sieben Mitgliedern aus vier verschiedenen Parteien konsultieren zu müssen, taugt nur bedingt zur Krisenbewältigung. Keine Feuerwehr erscheint mit sieben gleichberechtigten Kommandanten am Brandherd, die sich als erstes zu einem längeren Palaver zurückziehen und dann auf einen Kompromiss einigen! Kommunikation und Information. Nicht nur im Verhältnis von innen nach außen ist Kommunikation das Zentralthema jeder Krisenbewältigung. Auch intern sollte eine spontane Kommunikationskultur gepflegt werden, gleichgültig welche Hierarchie zuvor herrschte. Nur so lässt sich vermeiden, dass wichtige Informationen auf dem Instanzenweg verloren gehen. Spontane Kommunikationskultur im Binnenverhältnis bedeutet jedoch keineswegs, nach außen alles sagen zu dürfen, was man gerade denkt! Im Gegenteil, eine gemeinsam vereinbarte Grundhaltung mit entsprechenden „Soundbytes“ ist unabdingbar. Wenn jeder in Interviews plappern darf, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, entsteht nur Kakophonie. Als Krisenmanager leidet man in der Regel unter Informationsdefiziten, was die Kommunikationspolitik zusätzlich erschwert. Sprachregelungen dürfen jedoch niemals auf Kosten der Wahrheit gehen, denn in der Mediengesellschaft haben Lügen besonders kurze Beine. Auch Schweigen empfiehlt sich nicht, jemand anderes wird das entstehende Vakuum sofort ausfüllen. Mangelnde Informationen sind stets eine Einladung zum investigativen Journalismus! Gerade im Umgang mit anglo¬amerikanischen Medien gilt darüber hinaus, dass Geschwindigkeit Genauigkeit sticht. Die bei europäischen Politikern und Managern verbreitete Haltung, erst Stellung zunehmen, wenn man alle Fakten kennt, führt angesichts des rasanten Tempos der Informationsgesellschaft in eine Sackgasse. Bis die präzise, aber langsame Wahrheit zutage getreten ist, haben Klischeeschlagzeilen und schnelle TV-Bilder sie längst überholt. Das Publikum interessiert sich nicht für Präzision, sondern für prompte Stellungnahmen. Zurecht angekreidete Fehler sind dabei einzugestehen, rechtmäßig kritisierte Sachverhalte zu verändern. Auf zu Unrecht geäußerte Kritik darf man jedoch nicht mit vorschnellen Zugeständnissen reagieren. Reputation verschafft man sich mit Rückgrat und Standfestigkeit, nicht mit Opportunismus. Man sollte den Respekt, nicht den Applaus der Medien suchen. Dabei kommt es nicht allein auf Fakten an, sondern auch auf deren Wahrnehmung. Sie lässt sich professionell beeinflussen. „Was ich für wahr nehme“ ist manchmal entscheidender als das, was sich dahinter verbirgt. Imagepflege. Ansehen zählt zu den wesentlichen Werten von Staaten und Unternehmen. Man kann es in ruhigen wie in bewegten Zeiten beeinflussen, in kritischen Situationen allerdings auch leicht beschädigen. Wie geht man zum Beispiel mit Krisen um? Wie mit öffentlicher Kritik? Mit harschen Anschuldigungen? Der Eintritt einer Krise beeinträchtigt selten den Ruf, wohl aber der Umgang mit ihr und das Verhalten während der schwierigen Zeit. Im Umgang mit Krisen und Problemen wird Reputation entweder gewonnen oder verspielt, Krisenmanagement bedeutet daher immer auch Reputationsmanagement. Letztlich geht es um die Wahrung des eigenen Ansehens. Dazu kann man freilich vorbeugende Maßnahmen treffen. So wie ein gesundes Immunsystem Krankheitserreger abwehrt, trägt ein gutes, aktiv gepflegtes Image (in der Wirtschaft die „Corportate Identity“) zur Immunität vor Verleumdungen bei. Der Gegner muss sich dann sehr anstrengen, seine Vorwürfe plausibel zu machen, ohne dass sie gleich wieder auf ihn zurückfallen. Bis zum Ausbruch der Holocaust-Krise hatte sich die Schweiz auf ein reichlich altbackenes Heidi-Image verlassen, das sich mit der differenzierten Wahrheit eines modernen Industriestaates kaum noch deckte. Ein solch veraltetes Image ließ sich leichter demontieren als das Bild einer weltoffenen Alpenrepublik. Daher braucht ein LandImagepflege und Public Diplomacy. Und keine Angst vor professioneller Hilfe! Spezialisierte Lobbying- und PR-Firmen sind heute unabdingbare Instrumente für Regierungen und größere Unternehmen. Sie helfen auch beim Aufbau eines umfassenden und tragfähigen Beziehungsnetzes. „Zwei Uhr nachts ist eine verdammt lausige Zeit, um sich neue Freunde zu suchen“, sagt der amerikanische Networking-Guru Harvey Mackay.

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